DIE KINDHEIT JESU
LUKAS KOMPONIERT DIE KINDHEITSGESCHICHTE JESU
... um zu zeigen, dass bei der Geburt Jesu alle Vorschriften des jüdischen Gesetzes erfüllt werden!
So viel wird auf den ersten Blick klar: Die lukanische und die matthäische Kindheits-geschichte berichten zwar über dieselbe Person, erzählen aber sowohl im Aufbau wie auch inhaltlich ausgesprochen unterschiedliche Geschichten. Exakte Übereinstimmungen zwischen den beiden Kindheitserzählungen gibt es nur im Blick auf wenige Erzähldetails. So stimmen in etwa die Namen der Protagonisten überein.
In beiden Fällen wird die Geburt in die Zeit des Herodes datiert und in Bethlehem verortet, wenn auch dieser Ort aus ganz unterschiedlichen Gründen aufgesucht wird; bei Matthäus ist Bethlehem der Wohnort der Familie Jesu, bei Lukas ziehen Maria und Josef aufgrund eines niemals erfolgten kaiserlichen Zensus nach Bethlehem. In beiden Kindheitsgeschichten wird schließlich die Geburt, die übereinstimmend durch den Topos Jungfrauengeburt als „wunderbar" charakterisiert ist, von einem Engel einem Elternteil vorher verkündet. Neben diesen Gemeinsamkeiten überwiegen aber eindeutig die Unterschiede. Ein paar Schlaglichter: Vom Täufer und seiner Geburtsgeschichte, die bei Lukas die Struktur angibt, findet sich bei Matthäus nichts. Dafür sucht man bei Lukas nach dem matthäischen Stammbaum in der Kindheitsgeschichte vergebens. Er wird erst in Lk. 3,23-38 nachgetragen und unterscheidet sich deutlich von der matthäischen Version. Abweichungen gibt es auch im Blick auf das Figureninventar der Erzählungen. Matthäus berichtet vom Besuch der Magier, die einem Stern gefolgt sind (wir berichteten an andere Stelle bereits darüber). Dieser Stern und die Gruppe der Magier finden sich bei Lukas nun gerade nicht; dafür berichtet er von Hirten, denen Engel erschienen, die die Geburt verkündeten. Schließlich gibt es signifikante Unterschiede im Rollenkonzept: Dem aktiven Josef im Matthäusevangelium steht ein ausgesprochen passiver im Lukasevangelium gegenüber. Hier ist es Maria, die im Zentrum des Geschehens steht. Sie führt hingegen bei Matthäus ein Schattendasein.
Angesichts dieses Textbefunds stellt sich die Frage nach der historischen Wahrheit der Kindheitsgeschichten in verschärfter Form. Irrt sich einer der beiden Evangelisten massiv und hat der andere die historische Wahrheit auf seiner Seite? Oder liegen etwa beide falsch? Letzteres ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen richtig, denn spannungsfrei und eindeutig sind weder die beiden Geschichten je für sich gelesen noch im Vergleich miteinander. Vielmehr lässt sich unschwer erkennen, das einer der beiden beim anderen abgeschrieben hat, wobei ihm ein Text zur Verfügung gestanden haben muss, der vom jetzigen Evangelientext sowohl vom Inhalt als auch vom Umfang her deutlich abwich. Eines ist gewiss die Geburt Jesu hat sich nicht so, wie in den beiden Evangelien beschrieben, abgespielt. Festzuhalten bleibt: Die Angaben des Matthäus und die Angaben des Lukas entsprechen sich nicht, auch nicht in der Frage der Datierung der Geburt, wo man am ehesten Einigkeit erwarten könnte.
Mit diesem Ergebnis unserer wissenschaftlich historischen Betrachtung konfrontiert, gab die Römisch-Katholische-Kirche folgendes Statement ab: Das ist weder überraschend noch verwerflich. Ein Evangelium ist als Erzählwerk nämlich keine Chronik oder Quellensammlung. Beiden Evangelisten geht es überhaupt nicht darum, im Sinne eines aufklärerischen, vielleicht sogar utopischen Verständnisses von historischer Geschichtsschreibung einfach nur zu beschreiben was gewesen ist. Nicht alles, was die Evangelien erzählen, ist auch so passiert. Das ist keine neue Erkenntnis, muss aber immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Keine der beiden Erzählungen kann und will für sich das Recht beanspruchen, wahr im Sinne eines historischen Faktenurteils zu sein. Evangelisten sind Theologen, die mit einer ganz bestimmten Absicht, einem pragmatischen Interesse, und - wie gute Schriftsteller und Theologen es nun einmal tun (sollten) - im Blick auf ihr jeweiliges Publikum, ihre Gemeinde und deren Situation, ihre Texte verfassen. Evangelien sind Gemeindeschriften; sie ergreifen im Blick auf die jeweilige Gemeindesituation Partei und werben für bestimmte Optionen - auch in den Kindheitsgeschichten.
Dazu möchten wir zunächst nichts hinzufügen – aber wie sieht es mit den Verfechtern der absoluten Wahrheit des Wortes aus? Kann man noch deutlicher zugeben, dass das ganze Neue Testament nichts ist als ein zusammengeschriebener Mythos zum Zwecke der Täuschung der „Seligen und geistig Armen“ minderprivilegierten Bevölkerung des römischen Reiches. Eine historische Gebrauchsanweisung für eine Gelddruckmaschine der anderen Art!