Götterdämmerung

Der Prediger der Araber

Was für ein Mensch war Mohammed? Die islamische Überlieferung gibt darauf verschiedene Antworten, die sich teilweise widersprechen. Einerseits war Mohammed ein Mann, der das absolute Vertrauen seiner Umgebung genoss und daher auch gelegentlich „al-amîn“, der Zuverlässige, genannt wurde. Andererseits wusste er in Mekka seine Umgebung so gegen sich aufzubringen, dass seine Mitbürger ihn und seine Jünger ächteten. Das Ende vom Lied war, dass Mohammed und sein Anhang im Lauf des Jahres 622 die Stadt Mekka verließen. Nach der islamischen Überlieferung war Mohammed also offenbar sowohl beliebt als auch unbeliebt.

Vergleichbares gilt auch für Jesus: Wenn er predigte, strömten «große Scharen» herbei, und als er in Jerusalem einritt, wurde er so begeistert empfangen, dass in den Augen derjenigen, die nicht in den Jubel einstimmten, die öffentliche Ordnung gestört wurde. Aber nur eine Woche nach diesem triumphalen Empfang verlangte eine Menschenmenge, die sich vor dem Palast des Statthalters Pontius Pilatus versammelt hatte, Jesus zu kreuzigen. Er wurde also von vielen Menschen abgelehnt.

Waren Jesus und Mohammed bei ihren Zeitgenossen und Mitbürgern nun beliebt oder nicht?

Wer diese Frage beantworten möchte, stößt sofort auf ein Problem. Außerhalb der christlichen beziehungsweise der islamischen Tradition existiert so gut wie überhaupt kein Material, das zu einer zuverlässigen Antwort führen könnte. Außerdem kann sich das Renommee von Menschen, die im Zentrum des öffentlichen Lebens stehen, besonders schnell ändern. Wer sich in der Öffentlichkeit exponiert, hat immer auch Feinde. Das gilt vor allem für die Gründer neuer religiöser Bewegungen. Es gibt daher zwei widersprüchliche Wahrheiten: Nichtmuslime in Mekka ärgerten sich über Mohammed, und gleichzeitig war Mohammed sogar bei Nichtmuslimen eine angesehene Persönlichkeit. Letzteres ist in der islamischen Apologetik ein wichtiger Topos. Aber wie kann jemand mit einem so gewaltigen Ruf, fragt sich ein Außenstehender schnell, aus der Stadt gejagt werden? Ähnliches gilt im Falle Jesu. Wie kann jemand, dessen Einzug in Jerusalem ein so aufsehenerregendes, fröhliches Schauspiel war, in der Woche darauf, unter anderem auf Verlangen der Öffentlichkeit, hingerichtet werden? Auch die religiösen Traditionen sehen dieses Problem und versuchen, es zu klären, indem sie über die Feinde von Jesus oder Mohammed Geschichten erfinden. Mitunter jedoch widersprechen sich die Erzählungen ganz extrem. Welche ist nun die wahre? Ist diese überhaupt erhalten? Wenn mehrere Berichte über ein Ereignis überliefert sind, kann es immer noch sein, dass die «wahre» Geschichte verlorengegangen ist.

Die ersten Generationen von Gläubigen hatten offenbar kein Problem damit, Geschichten zu erzählen, die keine Erinnerung an ein historisches Ereignis enthalten, sondern nach moderner Auffassung „Predigten“ in Form von Erzählungen sind. Spätere Generationen waren bisweilen nicht in der Lage, die fromme Tendenz der Geschichte zu durchschauen, sondern wollten nur allzu gern glauben, dass sich alles tatsächlich so ereignet hatte. Das bekannteste Beispiel für dieses Genre ist wahrscheinlich das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das im Neuen Testament von Jesus erzählt wird. Sogar der Verfasser bezeichnet es ausdrücklich als eine Predigt in Geschichtenform.

Trotzdem kann der heute aus Jerusalem kommende Reisende an der Straße nach Jericho auf der rechten Seite die Herberge bewundern, in der sich alles zugetragen haben soll. Für moderne Leser und areligiöse Menschen ist der Unterschied zwischen einem historischen Bericht und einer «Predigt in Geschichtenform» wichtig. Für gläubige Menschen ist er eher unerheblich. Es ist ausschließlich die moderne, wissenschaftlich begründete sachliche Neugier, die wissen möchte, wie es war und was sich wo und wann ereignet hat. Niemand weiß heute genau, welche Erzählungen über Mohammed wahr sind und welche als fromme Erfindung verstanden werden müssen. Vielleicht wird es irgendwann dank der Arbeit von Archäologen mehr Sicherheit in die eine oder die andere Richtung geben. Aber derzeit, im einundzwanzigsten Jahrhundert, haben wir diese Sicherheit nicht. Wer fromm ist und gern alle traditionellen Erzählungen über Mohammed oder Jesus glauben möchte, sollte unsere Texte daher besser nicht lesen. Aber auch wer sehr kritisch ist und meint, dass alle Geschichten über Mohammed und Jesus erlogen seien, wird hier feststellen können, dass ein Teil der überlieferten Geschichten durchaus auf wahrheitsnahen Ereignissen beruhen könnte. Leider weiß nicht einmal der größte Optimist, welcher Teil das ist.

Die religiöse Bedeutung der Legenden und Erzählungen über Mohammed und Jesus hängen aber keinesfalls von der Frage ab, ob sie sich tatsächlich so ereignet haben. Für den, der zu glauben wagt, dass diese Geschichten (einschließlich der von der Offenbarung des Korans) wahr sind, wird das Leben durchschaubarer, aber nicht unbedingt leichter, stellen sie doch nicht unerhebliche Forderungen an den Gläubigen, die zu durchgreifenden Einschnitten in seinem Leben führen. Die Frage ist, ob es sich für ihn lohnt, den Vorbildern nachzueifern, die in diesen Erzählungen erwähnt werden. Wer dem überlieferten Vorbild Mohammeds und Jesus folgen möchte, sollte Muslim oder Christ werden und Muslim oder Christ bleiben.

Wer dies ablehnt – und dies selbst in der kleinsten Abweichung von der Schrift oder dem Koran, lehnt damit im Grunde den Islam oder das Christentum ab. Er kann nicht, oder nicht länger, als Muslim oder Christ gelten. Bei der Entscheidung, ob man religiösen Vorbildern folgen möchte, kann die Wissenschaft keine große Hilfe sein – sie ist an die Realitäten des Universums gebunden. Religiöse Führer, die Verantwortung für ihre Gemeindemitglieder tragen, denken anders darüber, ja versuchen in der Regel selbst fundierte wissenschaftliche Bücher über religiöse Leitbilder als Abfall und Versuchung zu bewerten. Religionssoziologen haben festgestellt, dass sich so gut wie jeder in religiösen Fragen vom Beispiel seiner Freunde oder Verwandten leiten lässt, nicht von Büchern oder anderen Veröffentlichungen.

Ohnehin kann die Wissenschaft Glaubensinhalte weder beweisen noch widerlegen. Angenommen, es könnte endgültig bewiesen werden, dass Jesus aus Nazareth zu Beginn unserer Zeitrechnung tatsächlich in Palästina lebte und im Auftrag des damaligen römischen Statthalters Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, dann wäre damit nicht gleichzeitig belegt, dass Gott, wie ihn die Kirche beschreibt, tatsächlich existiert und die Dogmen der Kirche ein Segen für die Menschheit sind. Aber auch das Gegenteil gilt. Wenn bewiesen würde, dass Jesus nicht gelebt hat, dann sagte das noch nichts über den positiven Wert aus, den die Lehre der christlichen Kirchen für das Leben eines Menschen haben könnte.

So ist es auch beim Islam. Muslime sind zwar weniger vertraut mit solchen Argumentationen, und muslimische Theologen wollen damit, wahrscheinlich zu Recht, wenig oder gar nichts zu tun haben.

Aber auch hier gilt: Wenn bewiesen werden könnte, dass Mohammed gelebt hat, wäre damit noch längst nicht bewiesen, dass der Islam Gottes höchsteigene Religion ist. Und umgekehrt könnten die Verhaltensregeln, die der Islam den Menschen gibt, auch dann göttlichen Ursprungs sein, wenn es Mohammed nie gegeben hätte.

Aber die Anhänger und Verfechter dieser Religionen müssten auch anerkennen, wenn sich Gott durch einen Propheten offenbaren kann, dann kann er sich auch in irgendeiner anderen Weise offenbaren. Er könnte seinen Willen beispielsweise auch durch die Initiierung einer Tradition von Geschichten zum Ausdruck bringen, die diese Verhaltensregeln vorschreibt. Eine solche von Gott gestiftete Sammlung von Geschichten würde dann beispielsweise verkünden, es habe einmal einen Propheten gegeben, der Gottes Gesandter schlechthin gewesen sei, und wer den Vorschriften aus den Geschichten über diesen (imaginären) Propheten folge, werde beim Jüngsten Gericht verschont werden.

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