Gottes Sohn und Menschenkind?
Allah, Jahwe (Jehu), Gott und (k)ein Sohn?
Wie nah oder fern Gott zum Leiden steht – diese Frage unterscheidet die drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) erheblich voneinander. Im Verhältnis des Christentums zum Islam ist sie der entscheidende Punkt, mit bis heute erheblichen sozialen und politischen Folgen.Der jüdische Gott kann wütend, zornig oder traurig sein, er kann sein Tun bereuen. Das Christentum geht einen Schritt weiter: Gott kommt dem Leiden so nahe, dass der Gottessohn selbst vom Tod nicht verschont wird. Der Islam sieht den allmächtigen Gott in unnahbarer Erhabenheit. Allah kann sich sehr wohl erbarmen. Aber das ist dann eine Bewegung von oben nach unten. Die semitische Wurzel racham (Eingeweide) bedeutet auch im Arabischen, dass Gottes Erbarmen aus seinem Inneren kommt, aber das heißt nicht, dass Allah mitleiden oder leiden könnte.
Besonders ausgeprägt ist die Leidensferne Allahs nach dem Koran im Falle Jesu. Jesus kann noch nicht einmal Sohn Gottes genannt werden, denn so nah kann Gott den Menschen nicht kommen. Und Jesus stirbt erst bei seiner Wiederkunft am Ende der Tage. Diese Auskunft erscheint zunächst ganz am Rande, doch hier liegt der zentrale Punkt der Differenz. Denn diese Auskunft ist keine zufällig falsche Information. Sie hat vielmehr System.
Nach dem Koran wurde Jesus nicht gekreuzigt, sondern entrückt. Er wird am Ende der Zeiten kommen und dann erst sterben. Bis dahin aber wird die Erlösung der Glaubenden anders geklärt sein, nämlich durch Gebet und Almosen. Der terminlich verschobene, gewissermaßen aus dem Zentrum der Heilsgeschichte weggerückte Tod Jesu hat für das Heil der Menschen überhaupt keine Bedeutung. – Dabei besteht ein erweisbarer Zusammenhang zwischen der Leugnung der Kreuzigung Jesu und seiner Ablehnung der Gottessohnschaft. Das Problem ist schon aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert bestens bekannt und wird dann bei den Nestorianern weiter kultiviert, von denen es dann Mohammed übernommen haben kann.
Denn im Koran heißt es in Sure 4,157: „Sie (die Juden) haben Jesus nicht getötet und auch nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen ein anderer ähnlich (sodass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten).“ In der christlichen Petrus-Offenbarung aus dem zweiten Jahrhundert (aus den Funden von Nag Hammadi) lesen wir über Petrus in einer Kreuzigungs-Vision: „Was sehe ich, Herr, bist du es, den sie ergreifen… oder wer ist es, der neben dem Holz stehend heiter ist und lacht? Und einen anderen schlagen sie auf die Füße und auf die Hände?“ Der Lachende neben dem Kreuz sei der lebendige Jesus, der Gekreuzigte nur sein fleischliches Abbild. Wir halten fest: In christlichen Texten des zweiten Jahrhunderts wird die Kreuzigung Jesu bestritten. Und aus dem Milieu dieser Texte hat Mohammed seine Ansicht übernehmen können; denn eine arabische Bibelübersetzung gab es nicht vor dem Jahre 1000 nach Christus.
Man darf fragen, wie man zu dieser Ansicht gekommen ist. Für Christen stand hier der griechische Gedanke Pate, dass ein Gott nicht leiden kann, er ist leidens- und sterbensunfähig und per se glückselig. Der christliche Lehrer Nestorius (5. Jh.), der in seinen Ansichten über Jesus dem Koran sehr nahesteht, gab deswegen die Antwort: Weil Jesus aber gelitten hat und gestorben ist, kann er nicht Gott sein. – Die zitierte Petrus-Apokalypse und Mohammed meinen: Der Abstand Gottes von den Menschen überhaupt ist so groß, dass Gott keinen Sohn haben kann, erst recht keinen leidenden, und der Abstand Gottes von Leiden und Sterben ist so groß, dass es keine Verbindung gibt zwischen dem Leiden Jesu und der Erlösung der Menschen. Sowohl die Petrus-Apokalypse als auch Nestorius und eben auch der Koran meiden daher die Aussage: Durch das Leiden des Gottessohnes werden wir erlöst. Denn weder war Jesus Sohn Gottes noch ist sein Leiden heilvoll.